Rassismus gegen schwarze Frauen: „Ich habe ein Recht auf diese Welt“

                                 Geschichte von Michael Hesse

                          Ich habe ein Recht auf diese Welt

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                                                           Paula Macedo Weiß (l.) und Aurea Pereira Steberl. © Privat

 

 

Die Brasilianerin Aurea Pereira Steberl über Gewalt gegen Frauen, Rassismus gegen Schwarze und wie man trotzdem überlebt.

Aurea Pereira Steberl, Sie haben ein beeindruckendes Buch über Ihr Leben vorgelegt. Was hat Sie motiviert, das Buch mit Paula Macedo Weiß zu verfassen?

Ich habe immer meine Geschichte erzählen wollen, fand aber keine Möglichkeit. Erst als ich Paula Macedo Weiß, die ich sehr lange kenne und vertraue, fragte, wurde meinen Traum wahr. Wir haben gemeinsam dieses Buch geschrieben. Das Buch ist das Ergebnis von Sororität und gelebter Solidarität unter uns.

Wie ist die Lebenssituation von Frauen grundsätzlich in Brasilien?

Die Frauen in Brasilien haben weniger Chancen auf einen beruflichen Aufstieg. Es gibt keinen guten Zugang zu Arbeitsplätzen, wie es bei Männern der Fall ist. Es ist selten der Fall, dass eine Frau den Weg in höhere Positionen findet.

„Unter Bolsonaro gab es einen erheblichen Rückschritt“

Arme Frauen sind stark betroffen?

Arme Frauen haben noch weniger Chancen. Besonders schlecht ist es für schwarze Frauen. Der gesellschaftliche Aufstieg ist für sie nahezu unmöglich. Der Grund ist der strukturelle Rassismus in Brasilien. Sie können nur als Hausfrauen arbeiten oder niedere Tätigkeiten versehen. Die Arbeit, die sie verrichten, wird nicht geschätzt. Sie verdienen daher fast kein Geld. Das Hauptproblem ist aus meiner Sicht, dass schwarze Frauen überhaupt keinen Zugang zu Bildung haben. Erst seit ein paar Jahren gibt es Quoten, durch die schwarze Frauen an Universitäten kommen. Ohne das könnten sie niemals gesellschaftlich aufsteigen. Die Frauen arbeiten dennoch mehr als in Deutschland. Die brasilianische Gesellschaft ist frauenfeindlicher als in Deutschland, dennoch arbeiten sie dort viel mehr als hier.

Wie war die Zeit unter der Bolsonaro-Regierung? Er gilt ja als besonders tradiert und rechts.

Unter Bolsonaro gab es einen erheblichen Rückschritt. Das betrifft vor allem das Bild von den Frauen, aber auch die Gewalt gegen Frauen, die unter seiner Regierung zugenommen hat. Allgemeiner lässt sich sagen, dass unter Bolsonaro die Stellung der Frauen in der Gesellschaft stark gelitten hat.

In dem Buch geht es stark um Rassismus. Wie war Ihre erste Erfahrung mit Rassismus?

Meine Mutter hat meinen Onkel, der Professor für Physik war, kontaktiert und ihn gefragt, wie man sich dagegen wehren könnte. In den 1950er und 1960er Jahre konnte man sich gesetzlich (und gerichtlich) kaum gegen Rassismus wehren. Das konnte man erst durch das Grundgesetz von 1988, nach dem Rassismus ein abscheuliches, unanfechtbares und unauslöschliches Vergehen wurde. Es war wichtig für mich, dass mein Onkel sich für mich eingesetzt hat. Das Tanzfest musste wiederholt werden, und diesmal konnte ich mitmachen. Er hat durch seine Handlung ein Signal gesetzt. Aber er konnte mich nicht vor dem weiteren Alltagsrassismus der Gesellschaft schützen, dem ich jeden Tag ausgesetzt gewesen bin.

Aus welcher sozialen Schicht stammen Sie?

Wir kommen aus sehr armen Verhältnissen. Meine Mutter und zwei Onkel verloren früh ihre Eltern und sind bei ihrer Großmutter groß geworden. Ihrer Bruder, der Physikprofessor wurde, war sehr klug. Er war auch von der Hautfarbe der hellste, er war nicht so schwarz wie meine Mutter, was ihm sicher geholfen hat. Colorismo ist ein sehr wichtiger Begriff in Brasilien; es geht darum, die Hautfarbe einer schwarzen Person zu unterscheiden und durch diese Trennung zu bestimmen, wie sie zu behandeln ist. Je nach den Merkmalen, die einer Person als schwarz zugeschrieben werden, wird sie im Laufe ihres Lebens verschiedene Formen von Rassismus erleben.

Die Personen

Áurea Pereira Steberl, geb. 1955 in Belo Horizonte, Minas Gerais, geboren. Sie zog nach 1995 nach Deutschland. Getrennt, lebt in Frankfurt mit ihrer Tochter und vier Enkelkindern.

Paula Macedo Weiß , geb. 1969, ist eine Koordinatorin von internationalen Kulturprojekten, Mitinitiatorin des „Netzwerks Paulskirche“, Juristin und Autorin sowie die Mutter von vier Kindern. Die gebürtige Brasilianerin studierte Rechtswissenschaften in Brasilien, promovierte an der Universität Tübingen. 2013 betreute sie im Zuge der Teilnahme Brasiliens als Ehrengast an der Frankfurter Buchmesse das kulturelle Rahmenprogramm.

Paula Macedo Weiß, Áurea Pereira Steberl: Aurea: Eine brasilianisch-deutsche Lebensgeschichte. Verlag Dielmann 2024. 120 Seiten. 20 Euro.

Sie haben extreme Erfahrungen in Ihrer Ehe gemacht, berichten Sie in dem Buch.

Ein Ehemann hat zweimal versucht, mich umzubringen. Der Mann, mit dem ich nach Deutschland kam, hat leider zu viel Alkohol getrunken, deshalb habe ich mich von ihm getrennt. Ich bin voller Zuversicht, dass das Leben besser wird. Dazu muss ich meinen Beitrag leisten, das weiß ich. Nach den Mordversuchen musste ich weiterleben, vor allen, weil ich für meine Tochter da sein musste. Ich habe die Hoffnung, das positive Denken und die Kraft, um gegen die Strukturen zu kämpfen, damit wir überleben konnten.

Sie sind in eine Goldmine gegangen. Es war sehr gefährlich, schreiben Sie in dem Buch.

Auch da war Hoffnung im Spiel. Ich hatte vorher viele Jobs, bei denen ich immer wieder dem Rassismus ausgesetzt war. Ich hatte ein kleines Kind und wollte mehr Geld verdienen. Ich wollte in der Mine zu Geld kommen, auch um meinem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen. Der Rassismus bleibt immer, auch wenn man Geld hat, aber er bleibt unterschwellig, da dein gesellschaftliches Ansehen mit Geld anders ist. Ich wollte nicht, dass meine Tochter durchmacht, was ich erlebt habe. Sie sollte ein besseres Leben haben. Ich weiß nicht, ob sie mein Mind-set hat, ob sie das hätte durchstehen können, so wie ich. Auch wenn ich so bin, muss meine Tochter noch lange nicht so sein. Mein Selbstwertgefühl ist sehr stark, ich bin eine voll überzeugte Feministin, ich glaube an mich. Es tut jedes Mal weh, wenn man Rassismus erlebt. Aber es ist eher das Problem dieser Menschen.

Warum haben Sie diese Kraft? Immer schon, oder durch Erfahrung so geworden?

Meine Werte sind für mich wichtig und ich lebe sie. Ich habe ein Recht auf diese Welt, auch wenn es eine kräftige Struktur gibt, durch die ich unterdrückt werden soll.

Sie beschreiben, wie Ihnen dann ein Geist in Gestalt Ihrer Mutter erschien. War das ein Traum?

Ich glaube nach wie vor daran, dass es eine reale Erscheinung war. Das war keine Einbildung. Meine Mutter war Spiritualisten. Ich habe ihr bei ihren Ritualen geholfen, dabei habe ich viel gesehen und erlebt. Ich kann mit tiefer Überzeugung sagen, dass meine Mutter mir geholfen hat, dort herauszufinden. Sie stand im Raum und sagte mir, dass sie mir helfen werde, wieder aus der Goldmine rauszufinden. Einen Tag später lernte ich einen Mann kennen, der mir half, den Ort zu verlassen. Er hatte sich in mich verliebt.

Wie ist es im Vergleich zu Brasilien in Deutschland?

Ich bin mit 40 Jahren nach Deutschland gekommen. Es ist ein großer Unterschied, vor allem bei Chancengleichheit und Zugang zu Bildung. Das existiert alles nicht so in Brasilien, vor allem dann nicht, wenn man aus ärmlichen Verhältnissen kommt. Dazu kommt der strukturelle Machismo; mein Vater war der Meinung, dass Frauen Hausarbeit machen sollten und sich um die Kinder zu kümmern hätten.

Fühlen Sie sich wohl?

Ich fühle mich in Deutschland unglaublich wohl. Hier habe ich den Rahmen und die Chancen, mich so zu verwirklichen, wie es in Brasilien nie möglich gewesen wäre. Man kann noch mehr machen für die Frauen. Das Quotensystem kann als Überbrückungssystem helfen, alte Strukturen aufzubrechen und gleiche Chancen für Frauen zu ermöglichen.

Das Gespräch wurde aus dem Portugiesischen übersetzt von Paula Macedo Weiß.