Mitte-Studie“ zu rechtsextremen Weltbildern: „Die Ergebnisse sind alarmierend!“

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  • Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und die Verharmlosung von Naziverbrechen: Rechtsextreme Einstellungen sind in Deutschland weit verbreitet. Das zeigt die jüngste „Mitte-Studie“. Co-Autorin Elif Sandal-Önal ordnet ihre Ergebnisse im DTJ-Online-Interview ein.

Immer häufiger teilen Deutsche einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge rechtsextreme Weltbilder. Laut der „Mitte-Studie“ hat sich ihr Anteil – im Vergleich zu den Vorjahren – verdreifacht. Eine besorgniserregende Entwicklung. Im DTJ-Online-Interview erklärt Elif Sandal-Önal, die an der Studie als Co-Autorin beteiligt war, warum auch immer mehr junge Menschen rechtsextremistisches Gedankengut übernehmen – und was ihr dennoch Hoffnung gibt.

Frau Sandal-Önal, jeder Zwölfte in Deutschland hat eine rechtsextreme Weltanschauung. Das geht aus der neuen „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung hervor, an der Sie mitgewirkt haben. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber früheren Studienergebnissen, richtig?

Ja, im Vergleich zur Mitte-Studie aus dem Jahr 2020, in der 1,7 Prozent der Teilnehmenden angaben, rechte Weltanschauungen zu haben, zeigt die aktuelle Studie eine Zustimmung von 8,3 Prozent. Das ist ein deutlicher Anstieg.

Und es sind ausdrücklich nicht nur AfD-Anhänger, bei denen sie extremistisches Gedankengut erkennen konnten. Wer fühlt sich denn außerdem zu einem rechtsextremen Weltbild hingezogen?

Um eine ausführliche Analyse vorzunehmen, mussten wir zunächst herausfinden, was wir unter rechtsextremen Weltanschauungen verstehen. In der Mitte-Studie ist das ein zusammengesetzter Wert, der sich aus den Punkten ‚Befürwortung der Diktatur‘, ’nationaler Chauvinismus‘, ‚Fremdenfeindlichkeit‘, ‚Antisemitismus‘, ‚Sozialdarwinismus‘ und ‚Verharmlosung des Nationalsozialismus‘ zusammensetzt. Einige Fragen beinhalteten auch Aussagen, denen die Befragten zustimmen sollten. Zum Beispiel: ‚Der Nationalsozialismus hat auch seine guten Seiten.‘ Wir betrachten dann die Zustimmung zu diesen Dimensionen und die rechtsextreme Weltanschauung als Ganzes. Und um ihre Frage zu beantworten: Die Ergebnisse zeigen, dass diejenigen mit einer höheren Zustimmung zu rechtsextremen Weltanschauungen nicht nur diejenigen sind, die mit der AfD sympathisieren. Alter und Bildung spielen hier eine Rolle; so steigt die Zustimmung zur rechtsextremen Weltanschauung insgesamt mit einem niedrigeren Bildungsniveau und jüngerem Alter.

„Zustand der ‚Normalität‘ wird in Frage gestellt“

Welche weiteren Erkenntnisse hat Ihre Studie zutage gefördert?

Alle Ergebnisse zu nennen, das würde den Rahmen des Interviews sprengen. Aber wenn wir uns auf die Trends konzentrieren, die eine Zunahme rechtsextremer Weltanschauungen zeigen, gibt es zwei wichtige Punkte zu nennen: Erstens befindet sich die Welt in einer Phase, die durch globale Polykrisen gekennzeichnet ist. Krisen also, die in verschiedenen Regionen der Welt interagieren und neue auslösen. Das bedeutet, dass der Zustand der ‚Normalität‘ in den Köpfen der Menschen in Frage gestellt wird. So zeigt unsere Studie, dass mehr als 70 Prozent der Teilnehmenden glauben, dass diese Krisen Deutschland negativ beeinflussen. 41,8 Prozent gaben an, sich angesichts dieser anhaltenden Krisen unsicher zu fühlen. Ein weiterer Faktor sind die globalen Herausforderungen für die Demokratie. Nicht nur in Europa, sondern überall auf der Welt können wir einen Rückschritt in den Demokratien beobachten, der sich in einer zunehmenden Polarisierung äußert.

Bleiben wir kurz bei dem Gefühl der Unsicherheit vieler Menschen. Können Sie kurz erläutern, warum das Menschen extreme Positionen einnehmen lässt?

Gern. Das Gefühl der Unsicherheit in Krisenzeiten und Ungewissheit gelten als die Faktoren, die Menschen zu rechtsextremen Ideologien und Radikalisierung treiben. Das abnehmende Vertrauen in die staatlichen Institutionen und Medien, begleitet von einem Mangel an politischer Selbstwirksamkeit, führt dazu, dass die Menschen mehr an Verschwörungsmythen glauben und zu populistischen Einstellungen neigen. Und das ebnet dann den Weg zu einer antidemokratischen Radikalisierung.

„Die Menschen beginnen, in nicht-demokratische Räume auszuweichen“

Warum ist das so? Welche Gründe haben Sie für diese Entwicklung ausmachen können?

Es ist wichtig, den Zusammenhang zwischen globalen Krisen und der Fähigkeit von Demokratien, diese Krisen zu bewältigen, zu erkennen. Denn die kollektive Unsicherheit schürt in erster Linie das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Und das bringt den Einzelnen langfristig dazu, sich in seine eigenen kleinen Gruppen, seine Identitätsblasen, einzuschließen, um sich wieder sicher und geborgen zu fühlen. So zeigen die Ergebnisse unserer Studie auf alarmierende Weise, dass die Menschen beginnen, in nicht-demokratische Räume auszuweichen, um Sicherheit zu suchen und ihre Unsicherheit zu verringern.

Viele Jahre lang galt: Je älter die Menschen sind, desto häufiger teilen sie rechtsextremistische Weltbilder. Ihre Studie zeigt nun aber, dass auch junge Menschen in ihrer Weltanschauung immer extremer werden. Warum ist das so ?

Wenn wir zu verstehen versuchen, warum junge Menschen sich mehr zu rechten Weltanschauungen hingezogen fühlen, sollten wir die zunehmenden rechten Diskurse nicht nur auf nationaler, sondern auch auf globaler Ebene fokussieren. Die Mitte-Studie zeigt aber auch auch die Zunahme rechter Weltanschauungen unter Jugendlichen trotz der für sie vorhandenen Demokratieförderprogramme. Das zeigt, dass es notwendig ist, diese Programme Werten neu zu strukturieren. Potenziell sind jüngere Generationen in Sachen Vergangenheitsbewältigung weniger informiert. Die Zeit des Nationalsozialismus sehen Viele als weniger relevant für ihre deutsche Identität an. Sie sind sich also nicht so sehr bewusst darüber, was rechtsextreme Weltbilder für die Gesellschaft bedeuten würden.

„Eine bedrohliche Situation für die Demokratie“

Die aktuelle „Mitte-Studie“ trägt den Titel „Die distanzierte Mitte“. Wovon distanziert sich die Gesellschaft denn derzeit?

Die Gesellschaft entfernt sich von der Demokratie. Und die Ergebnisse der Mitte-Studie sind aus einigen Gründen alarmierend für die Demokratie: Wir erwarten, dass sich die Menschen in Krisenzeiten neu positionieren, aber wenn die Mitte der Gesellschaft, die sich politisch nicht als rechts positioniert, zu rechten Ideologien neigt, dann können wir dies als eine bedrohliche Situation für die Demokratie betrachten. Andererseits warnt uns die zunehmende Auseinandersetzung junger Menschen mit dem rechten Weltbild vor der Zukunft. Die Normalisierung rechtsextremer Weltanschauungen bei den jüngeren Generationen kann dazu führen, dass sie sich in Zukunft stärker von der Demokratie und ihren Institutionen distanzieren.

Wie sollten Gesellschaft und Politik nun mit den vorliegenden Ergebnissen umgehen?

Wir benötigen politische Bildung zur Förderung der Demokratie als langfristiges, dauerhaftes Projekt. Und sie muss in allen Ebenen der formalen Bildung verankert werden. Andererseits ist die Schule nicht der einzige Akteur der politischen Sozialisation. Medien, politische Akteure wie Parteien und Politiker müssen sich klar von antidemokratischen Positionen distanzieren und gemeinsam daran arbeiten, die Normalisierung extremistischer Diskurse und Positionierungen zu verhindern.

„Die Ergebnisse sind alarmierend“

Ist die neue Studie ausschließlich ein Grund zur Sorge oder gibt es auch etwas, das uns Hoffnung für die nahe oder ferne Zukunft macht?

Die Ergebnisse sind alarmierend. Sie zeigen aber auch einen sicheren Ausweg vor der Zerstörung der Demokratie auf. Wir sehen auch, dass das Vertrauen der Bürger in die Institutionen für eine gut funktionierende Demokratie von großer Bedeutung sind. Auf diese Dynamiken sollte man sich bei der Umstrukturierung der politischen Bildung und der Schaffung von Diskursen für die jüngeren Generationen konzentrieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Elif Sandal-Önal ist Politikwissenschaftlerin und Sozialpsychologin. Derzeit arbeitet sie als Post-Doc am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefel. Sie ist Co-Autorin der „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wieder.