Winfried Kretschmann hört demnächst als Ministerpräsident in Baden-Württemberg auf.

Er wird es, wenn er sich traut

Von Johennes Bebermeier


 

 

 

Winfried Kretschmann hört demnächst als Ministerpräsident in Baden-Württemberg auf. Seine Nachfolge ist für die Grünen von höchster Bedeutung. Viele trauen sie nur Cem Özdemir zu. Doch traut er sich?

Als Cem Özdemir Ende November in Karlsruhe auf der Bühne des Grünen-Parteitags steht, ist erst nicht ganz klar, wer da genau redet. Özdemir, der Landwirtschaftsminister? Seine "großartig arbeitenden Landwirte" erwähnt er nur ein einziges Mal. Also eher nicht.

Özdemir, der Parteipolitiker? Schon eher, jedenfalls geht es in seiner Rede sehr grundsätzlich um den Kurs der Grünen. "Es reicht nicht", ruft Özdemir an einer Stelle, "dass wir nur die überzeugen, die bereits überzeugt sind." Allerdings hat Özdemir, der früher mal Grünen-Chef war, gar kein wichtiges Amt mehr im Parteiapparat.

Özdemir hält eine Rede, wie es nur jemand tut, der in der Politik noch etwas vorhat. Nach gut zehn Minuten streut er selbst einen Hinweis ein, in welcher Rolle er hier wohl spricht: Özdemir zitiert Hannah Arendt, und damit genau die politische Philosophin, ohne die kaum eine Rede des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann auskommt

 Es ist die wohl meistzitierte Denkerin in der Villa Reitzenstein, dem Amtssitz des Regierungschefs von Baden-Württemberg. Demnächst muss dort ein neuer Ministerpräsident einziehen, weil der 75 Jahre alte Kretschmann aufhören wird. Und Özdemir, so kann man das interpretieren, probiert sich hier im baden-württembergischen Karlsruhe schon mal aus.

Cem Özdemir klingt nicht zufällig wie bei einer Bewerbungsrede. Wenn er will, könnte er bei der nächsten Landtagswahl als Kretschmann-Nachfolger antreten. Viele Grüne wollen ihn, niemand in der Partei steht ihm mehr im Weg. Das ist nach allem, was man hört, inzwischen ausgemachte Sache. Die einzige Frage ist: Traut er sich auch?

Es geht um die grüne Zukunft

Wenn Baden-Württemberg Anfang 2026 wählt, wird die Ära Winfried Kretschmann nach 15 Jahren zu Ende gehen. Kretschmann, gelernter Lehrer, führte die Grünen 2011 nicht nur erstmals in die Landesregierung. Er verdoppelte dabei den Stimmenanteil der Grünen und ließ sie auch in der Regierung weiter wachsen. Aus 12 Prozent wurden aus dem Stand 24 Prozent, fünf Jahre später waren es schon 30 Prozent und bei der letzten Wahl 2021 fast 33 Prozent.

Einen Großteil des Erfolges verdanken die Grünen damit nicht ihren Wahlprogrammen, sondern Kretschmann persönlich, das wissen sie selbst. Seinem landesväterlichen Studienratswesen. Und seinem ultrapragmatischen grünen Konservatismus, der selbst im schwarzen Baden-Württemberg kaum jemanden verschreckt.

Die Suche nach einem möglichen Nachfolger ist deshalb mehr als eine Routineoperation. Sie entscheidet mit über die Zukunft der Grünen im Südwesten. Und womöglich nicht nur dort.

Für die Grünen ist Winfried Kretschmann der einzige Ministerpräsident, den sie haben. Mit der Beinfreiheit, die ihm das beschert, geht er linken Grünen zwar mitunter mächtig auf die Nerven. Für die Realos aber ist er der Beweis, dass pragmatisches Dunkelgrün immer noch erfolgversprechender ist als die reine Lehre, das linke Quietschgrün.

Der Erfolg in Baden-Württemberg – er ist damit immer auch ein wichtiges Argument für alle Realos im grünen Richtungskampf.

Der praktizierende Schwabe

Gerüchte, dass Cem Özdemir irgendwann Kretschmanns Nachfolge antreten könnte, gibt es schon lange. Özdemir wurde vor 58 Jahren in Baden-Württemberg geboren, in Bad Urach in der Schwäbischen Alb. Er ist ein "praktizierender Schwabe", wie er oft erwähnt, natürlich auch bei seiner Rede in Karlsruhe. Gute Voraussetzungen also.

Genauso wichtig: Özdemir ist das, was man ein politisches Schwergewicht nennt. Bis 2018 war er zehn Jahre lang Bundeschef der Grünen. Er ist nach wie vor einer der bekanntesten Politiker, den sie überhaupt haben.