Die neue Härte gegen syrische Flüchtlinge

Von

Stefan Kreitewolf

In der Türkei wächst der Unmut gegen syrische Flüchtlinge. Sogar Istanbuls neuer gemäßigter Bürgermeister Ekrem İmamoğlu findet drastische Worte. Das hat auch mit der wirtschaftlichen Misere zu tun.

Sie wurden mit offenen Armen empfangen, nun sollen sie weg: Die Rede ist von syrischen Flüchtlingen in der Türkei. Allein in Istanbul leben 500.000 Syrer, im ganzen Land sind es circa 3,6 Millionen. Ein erster antisyrischer Mob, der Ende Juni im Istanbuler Arbeiterviertel Küçükcekmece die syrischen Migranten in Angst und Schrecken versetzte, ist Ausdruck dieser Zeitenwende, und zeigt: Der Fremdenhass gegen sie wächst.

Viele Syrer sehen die Türkei als ihre zweite Heimat an. Und so wurde es seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs von der türkischen Regierung kommuniziert: 2012 lud der damalige Premier Recep Tayyip Erdoğan (AKP) syrische Flüchtlinge in die Türkei ein, wenig später besuchte er Flüchtlingslager nahe der Grenze, die bis 2014 weitgehend offen war. Sogar eine Einbürgerung stellte er damals in Aussicht.

Die Zeiten sind vorbei. Mittlerweile wirbt der türkische Präsident nämlich mit den rund 500.000 Menschen, die bereits nach Syrien zurückgekehrt sein sollen. Eine weitere halbe Million werde schnellstmöglich folgen, kündigte Erdoğan bereits im Januar an.

Konkurrenz auf leergefegtem Arbeitsmarkt

In der türkischen Öffentlichkeit werden die Syrer schon länger nicht mehr als „Gäste“ bezeichnet, wie es zu Beginn der Migrationswelle häufig der Fall war. Viele gelten stattdessen als Schmarotzer – insbesondere, weil vielen Türken mittlerweile bewusst ist, dass die Syrer nicht so schnell gehen werden.

So werden sie als Konkurrenz auf dem zunehmend leergefegten Arbeitsmarkt wahrgenommen. Denn gerade die wirtschaftliche Misere des Landes und die steigende Arbeitslosigkeit fachen die Abneigung auf die oft schwarz arbeitenden Migranten an.

Eine Studie der Kadir-Has-Universität zeigt: 67,7 Prozent der türkischen Befragten sind unzufrieden über die Präsenz der Syrer. 2017 waren es noch 54,5 Prozent. Wobei eine Studie aus demselben Jahr bereits auf wachsenden Unmut hinweist: Laut einer Erhebung der Bilgi-Universität wollen 86 Prozent der Türken, dass die Syrer das Land wieder verlassen.

Fake News gegen Syrer

Die aktuellen Unruhen in Küçükcekmece waren wohl Folge von Fake News, wonach ein Syrer ein türkisches Mädchen sexuell belästigt habe. Obwohl die Polizei das Gerücht schnell widerlegte, nahm der Hass seinen Lauf und konnte erst unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern gestoppt werden. Der Mob zeigt erstmals, dass sich Syrer in der Türkei nicht mehr sicher fühlen können.

Denn sogar der für versöhnliche Töne bekannte Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu (CHP) zeigte Verständnis für die Unruhen. „Unsere Bürger sind ruhelos, sie gehen auf die Straße, weil sie keinen sicheren Ort mehr finden können“, rechtfertigte er das Geschehene.

In einem Interview mit dem Sender Habertürk sagte er außerdem, dass die syrischen Flüchtlinge oft illegal beschäftigt seien und so das Einkommen vieler Türken gefährdeten. Ein seltener Moment der Einigkeit zwischen İmamoğlu und Erdoğan. Die Interessen des türkischen Volkes seien zu schützen, lautet ein Satz, den beide gern verwenden.

Abschiebung droht

Zu ihren Worten passt ein Erlass des Gouverneurs der Provinz Istanbul: Alle syrischen Migranten, die nicht in der Metropole am Bosporus gemeldet sind, müssen sie sofort verlassen und in die türkischen Provinzen zurückkehren, in denen sie registriert wurden. Wer keine Papiere vorweisen kann, werde in sein Heimatland abgeschoben.